Eigenbedarf (... in den leeren Fensterbogen)
Kommentar
Eigenbedarf reiht sich in eine Werkgruppe ein, die mich seit einigen Jahren beschäftigt, und die sich mit Verwaltungsbegriffen in ihrer ganzen Vieldeutigkeit befasst. Am Anfang stand das Vorhaben, sich mit der aktuellen sozialen Frage des vorherrschenden Mietnotstandes zu befassen. Von der - zugespitzten - Vorstellung ausgehend, dass möglicherweise in der Zukunft nur mehr sehr reiche Menschen überhaupt in Städten werden leben können, entstand ein konkretes Bild: Eine verlassene Stadt in einer unbestimmten Zukunft mit lauter leer stehenden Immobilien im Topzustand, die als reine Spekulationsobjekte dienen. Von diesem konkreten Bild ausgehend, wurde die Vorstellung von Leere zentral für alle kompositorischen Gestaltungselemente des Stückes.
Reizvoll war für mich nicht etwa der "horror vacui" vor der Leere, sondern im Gegenteil der beinahe romantisch aufgeladene Frieden einer verlassenen Gegend. Als sich diese zentrale Vorstellung für das Stück herauskristallisiert hatte, fiel mir das Gedicht "Auf einer Burg" von Joseph von Eichendorff ein. Für die Konkretisierung der inneren Szenographie wirkte das Gedicht als eine Art Katalysator. Es entstand das Vorhaben, eine gänzlich kühle und entleerte Situation in der Zukunft als sehnsuchtsvollen Rückblick zu komponieren, vergleichbar damit, wie im Text von Eichendorff das Mittelalter imaginiert wird.
Dazu dient auch das elektronische Zuspiel, das im letzten Drittel des Stückes in Form von kurzen Samples aus diverser aktueller (Pop)musik und angewandter Musik anekdotische Schlaglichter auf die Musik von jetzt wirft. Durch die Instrumentierung im Ensemble wird diesen Samples eine spezifische (Fenster?)-Rahmung verliehen. Für mich war der Gedanke reizvoll, die Musikausschnitte, die für viele Menschen eine völlig ernsthafte emotionale Bedeutung haben, durch eine klanglich "rein" anmutende Klangumgebung und durch die Reduktion und rituelle Wiederholung dieser Klangumgebung gewissermaßen zu "heiligen" und ihnen so schon jetzt eine (romantisierende? nostalgische?) Bedeutung zu verleihen, die sie möglicherweise erst aus der Zukunft zurückbetrachtet als Klangbild unserer Gegenwart erlangen könnten. Die Spannung und widersprüchliche Setzung, die ich mir von dem "Clash" dieser gänzlich unpassenden Musik-Bedeutungen verspreche, wird sich hoffentlich in einer angemessen schizophrenen Hörerfahrung manifestieren.
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Aufführungen
UA 03.05.2019 Acht Brücken Köln
Ensemble für Neue Musik der RSH Düsseldorf, Nicolas Kuhn
weitere Aufführungen
25.05.2019, Lange Nacht der Neuen Musik, Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf